
Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld / Prof. Dr. Wolfgang Wessels (Hrsg.):
Jahrbuch der europäischen Integration 2017,
Nomos Verlag, Baden-Baden, 2017, 604 S., brosch., 89,- Euro
ISBN 978-3-8487-3200-5
Die Debatten zur Zukunft Europas erfuhren im Jahr 2017 einen neuen Antrieb, nachdem sich eine Mehrheit der britischen WählerInnen im Juni 2016 für einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs entschieden hatte. Das Brexit-Votum markiert damit nicht nur eine Zäsur in der europäischen Integrationsgeschichte, sondern stellt die verbleibende EU-27 abermals vor schicksalsträchtige Fragen: Welches Europa und wie viel Europa wollen wir? Welche Zugeständnisse sind wir bereit, dafür zu machen?
Auf EU-Ebene setzten sich intensive Zukunftsreflexionen in Gang. Die Staats- und Regierungschefs der EU-27 bekräftigten im September 2016 auf dem Gipfel von Bratislava ihr Bekenntnis zur europäischen Integration und beschlossen einen Fahrplan für EU-Reformen. Die Europäische Kommission stellte im März 2017 ihr „Weißbuch zur Zukunft Europas“ mit fünf möglichen Szenarien für die Union im Jahr 2025 vor. Mit dem 60. Jubiläum der Römischen Verträge am 25. März 2017 sollte ein Hohepunkt dieses Reflexionsprozesses erreicht werden, der in einer gemeinsamen Erklärung der führenden Vertreter von 27 EU-Staaten und des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission mündete. Gabriele Clemens geht anlässlich dieses Jubiläums seiner historischen Bedeutung für die noch immer währende Frage nach der Finalität des Integrationsprozesses im Gastbeitrag „60 Jahre Römische Verträge“ nach. Am 1. Juli 2017 erinnerte auch der erste Europäische Trauerakt zu Ehren Helmut Kohls mahnend an die historisch-kulturellen Wurzeln der europäischen Einigung, zu der der ehemalige Bundeskanzler und Ehrenbürger Europas maßgeblich beigetragen hat.
Doch der Blick in die Zukunft ist getrübt: Die scheinbar wiederbelebte Integrationsdynamik täuscht nicht über die „strategische Sprachlosigkeit“ der EU-Spitzen hinweg, bilanziert Werner Weidenfeld. Für viele Probleme der Vorjahre – sei es die Migrationskrise oder das Ausbleiben notwendiger Reformen in der Wirtschafts- und Währungsunion – sowie Fragen über den künftigen Integrationskurs gibt es bislang weder nachhaltige Lösungen noch innovative Antworten. Nur in der Brexit-Frage überraschten die Staats- und Regierungschefs der EU-27 durch Geschlossenheit und Einigkeit. Mit Beginn der Austrittsverhandlungen bezogen sie klare Fronten gegenüber Großbritannien und der im Konsens zum Chefunterhändler ernannte Michel Barnier hat die heikle Aufgabe übernommen, den bestmöglichen Deal für die Union und ihre BürgerInnen zu verhandeln. Das Jahrbuch widmet dem Präzedenzfall Brexit einen eigenen Beitrag. Als Idealfall für ein „known unknown“ nahmen die wissenschaftlichen Arbeiten zum EU-Austritt Großbritanniens zu, es kam aber im Zuge der Fragen nach der Weiterentwicklung der EU-27 auch zu einer Wiederbelebung des Themas differenzierte Integration, wie der Beitrag „Die Europapolitik in der wissenschaftlichen Debatte“ deutlich macht.
Das „Jahrbuch der Europäischen Integration“ ist ein Projekt des Instituts für Europäische Politik, Berlin, das in Kooperation mit dem Centrum für angewandte Politikforschung der Universität München (C.A.P.) und des Centre for Turkey and European Union Studies (CETEUS) der Universität zu Köln verwirklicht wird.
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